China 1984

Ich war am Freitag mit einer Freundin verabredet. Als ich klingelte war sie noch nicht fertig.

Ich setzte mich an den Tisch … da lag ein Buch von Konsalik – Der Dschunkendoktor. Konsalik war damals in aller Munde, ich hatte noch nichts von ihm gelesen … nach ein paar Seiten war sie fertig, aber ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. ‚Darf ich es übers Wochenende mitnehmen?‘ fragte ich. Ja, ich durfte. Am Sonntagabend war klar, ich muss nach Honkong. Erinnerungen an die Schule wurden wach, wie haben wir über dieses Wort gelacht im Erdkundeunterricht … Hongkong und Kuala Lumpur …

Gleich nach Feierabend gings ins Reisebüro – Hongkong allein gab es angeblich nicht, nur in Zusammenhang mit China. Ich hatte noch keine Erfahrung, kannte mich in der Branche nicht aus, wollte nur einen seriösen Veranstalter, mehr nicht. Und so buchte ich kurzentschlossen die klassische China Einsteigerreise, die am 23. September mit einem Flug nach Peking begann und am 10. Oktober nach drei Tagen Hongkong endete. Ich will nicht verschweigen, dass ich ab dem Tag die eine oder andere schlaflose Nacht hatte.

Bis zu dieser Reise fotografierte ich überhaupt nicht. Da standen vor den ausgewählten Motiven Laster oder Busse, Kirchtürme und Kuppeln waren wegen Renovierung eingerüstet, das Licht stand nicht richtig, der Vogel war weggeflogen bevor man die Kamera herausgeholt hatte … warum sollte ich mir diesen Stress antun? Eine Kamera empfand ich als Ballast, gab es doch hervorragende Postkarten, die die Bauwerke in ihrer ganzen Pracht zeigten.

Mein Vater gab mir Geld, damit ich mir endlich eine Kamera kaufte. Er war ein begeisterter Fotograf, jede Menge Objektive trug er mit sich herum, wenn er auf die ‚Pirsch‘ ging. Ich kaufte mir eine sogenannte Idiotenkamera wo ich nur draufdrücken musste. Ein begeisterter oder gar begnadeter Fotograf wurde ich nie. Damit entschuldige ich auch gleich die Qualität der Bilder in diesem Blog …

Manchmal saß ich zu Hause und fragte mich, warum hast du dieses Bild gemacht? Ich konnte das Motiv nicht mehr erkennen. Die Antwort bekam ich dann einmal von einem Reiseleiter: ‚Man kann Stimmungen, Empfindungen nicht fotografieren.‘ Ich traf auf meinen Reisen Menschen die tausend Bilder pro Reise machten und andere, die gar nicht fotografierten, die es bei Eindrücken beließen.

Einen großen Fehler machte ich mit dem Lesen eines Buches zum Thema Fernreisen und Krankheiten. Nach der Lektüre konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemals ein Fernreisender ohne mindestens einen Parasiten und/oder eine Krankheit wieder zurückkäme, was da so alles auf einen lauerte. Da ich nur in großen Städten in Hotels wohnte und auch nicht vor hatte in Flüssen zu baden beließ ich es bei einer Malaria Prophylaxe, der ersten und letzten in meinem Reiseleben.

China war natürlich der Hammer, in jener Zeit sicher nicht das richtige Einsteigerland für ein verhätscheltes Einzelkind wie mich … gern hätte ich schon im ersten Hotel auf dem Absatz kehrt gemacht. Damals war es in China nicht möglich Einzelzimmer zu buchen, ich war mit einer viel älteren und reiseerfahrenen Dame zusammen, die mich tröstete und für eine Zeit Händchen hielt. In dem muffig riechenden Zimmer liefen achteckige Käfer herum, ich floh ins Restaurant. Es war in einem fensterlosen Raum im Keller. Am Eingang stand ein Spucknapf. Es stank. Irgendein mit Haut und Knochen zerhacktes Tier und eine Schüssel Reis wurden uns serviert. Das Mahl roch ähnlich wie das Restaurant an sich. Ich verzichtete auf den Genuss und floh wieder ins Zimmer. Zum Glück ist man nach solch einem langen Flug müde, ich schlief trotz der Käfer – im Bett war keiner – ein.

Am Morgen sah die Welt schon ganz anders aus … ich war in China!

Es ging los mit der Stadtrundfahrt und zur verbotenen Stadt. Es gab kaum Autos, nur Fahrräder, stetig klingelnde Fahrräder. Egal wo man war, es klingelte immer. So eindrücklich war das, dass ich es heute noch zurückholen kann.

Die Reiseroute: Peking – Xian – Luoyang – Nanking – Suzhou – Shanghai – Hangzhou – Kanton – Hongkong.

Nach der Chinesischen Mauer war die tönerne Armee in Xian ein Höhepunkt.

Wir konnten durch das Ausgrabungsfeld spazieren, jedem Krieger ins Gesicht schauen. Als ich 1995 nochmal auf der Durchreise nach Tibet in China war, war alles unter Glas. Das lebendige Ausgrabungsfeld war ein totes Museum geworden – schade. Auch der Himmelstempel, ein runder Bau mit einer herrlichen Decke, in den wir noch hineingehen konnten, war nun mit Seilen abgesperrt über die man sich beugen musste um die Decke zu betrachten. Lange macht das kein Genick mit.

Und wir sahen noch die Menschen in grauer Einheitsuniform, sie war 1995 der blauen Einheitsjeans gewichten … welch ein Fortschritt!

An die Spucknäpfe hatte ich mich auch irgendwann gewöhnt, einfach nicht hineinschauen. Schon komisch, dass ich sie bei meinem zweiten Besuch vermisste. Auch sie waren der Moderne zum Opfer gefallen.

Auf dem Kaiserkanal in Suzhou fuhren wir in lila Wasser … damals schon … 1984, man sah die Farbe in der Gischt, die der Motor aufschäumte, welche Farbspiele sich da heute wohl zeigen?

In Kanton dann merkte man die Nähe Hongkongs, jede Menge Autos und kein Vorwärtskommen mehr. Außerdem auffallend die Satellitenschüsseln, die alle gen Hongkong gerichtet waren.

Über das Essen möchte ich noch so viel schreiben, dass ich lernte mit Stäbchen zu essen. Die Reisegruppe vertrieb sich die Zeit bis das Essen kam stets damit, wer am schnellsten die meisten Erdnüsse mit den Stäbchen in seinen Teller bringt. Richtig gelernt habe ich es nie, da gehört irgendeine Fingerfertigkeit dazu, verhungert bin ich trotzdem nicht … und zur Not waren für die Langnasen auch Löffel verfügbar.

Die Restaurants waren meist unvorstellbar riesig, dennoch kam das Essen so schnell wie bei uns im Imbiss. Einmal schmeckte es einem Teilnehmer so gut, dass er nachbestellte, das ist in China eine Beleidigung. Woher soll man das wissen? Wenn ich Besuch habe freue ich mich, wenn es den Leuten schmeckt und sie noch etwas haben wollen. In China sagt man dem Gastgeber damit indirekt, dass er zu wenig gekocht hat und die Gäste nicht satt wurden. Welch eine Schmach.

Alles in allem hatte ich mich in China schnell eingewöhnt, der eine oder andere Schock gehört einfach dazu, mit den Hotels hatte ich das größte Problem, da gab’s auf der ganzen Reise nur eines, das dem sogenannten westlichen Standard halbwegs entsprach.

Was mich von allem am meisten faszinierte und in seinen Bann schlug waren die Klöster. Leider war die Reise, es war ja eine Studienreise, ganz auf Kunst ausgerichtet. Die Klöster wurden daher auch nur unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Über die darin gelebte Religion bzw. den in China gelebten Buddhismus erfuhren wir so gut wie nichts.

Es kam der Tag und ich erreichte mein ursprüngliches Ziel: Hongkong. Ein erstklassiges Hotel zum Abschied tat gut, ein Blick über die Stadt voll blinkender Reklame und hupender Autos.

Edle Einkaufspassagen mit Cafés, die der Naschkatze jeden Wunsch erfüllten und  … endlich … die Dschunken. Ja, darin lebten die Menschen tatsächlich. Unvorstellbar. Einige hatten den Zeitgeist schon erkannt und vermieteten sie an Touristengruppen, die damit durch die Dschunkenstadt fuhren. Riesige Restaurants in der Bucht auf dem Wasser. Hongkong muss man gesehen haben, das kann man nicht beschreiben.

Meine erste Fernreise ging zu Ende, ich will nun nicht pathetisch werden, nicht sagen ich sei danach ein anderer Mensch gewesen … aber sie hatte mich verändert. Ich hatte etwas gesehen, das ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.

Ich hatte noch das alte China erlebt, wo in den abgelegenen Dörfern für die Menschen der Europäer eine kleine Sensation war. So wollte ich mir in einem Laden zwei typische Teebecher mit Deckel kaufen. Sie gibt es bei uns inzwischen auch, ich sah sie in China das erste Mal. Ich ging also in den Laden hinein, zeigte auf die Becher die ich wollte und machte unser Zeichen mit den Fingern für Zwei. Die Verkäuferin verschwand und kam mit einem Karton Becher zurück. Als ich in den Laden reinging war er leer, jetzt war er bis hinten gefüllt. Meine Güte, dachte ich, ich halte hier alles auf … acht Becher stellte die Verkäuferin vor mich hin. Ich wollte aber nur zwei, machte wieder das Zeichen Daumen und Zeigefinger. Es dauerte seine Zeit bis wir uns verstanden. Unsere Zwei mit Daumen und Zeigefinger ist in China die Acht. Sie verpackte also meine zwei Becher und ich ging hinaus. Danach war der Laden auch wieder leer, es waren alles nur Schaulustige gewesen, keine Kunden … endlich war mal was geboten gewesen im Örtchen.

Meine zwei Becher überlebten bis Frankfurt. Ich hatte sie extra nicht ins Fluggepäck getan. Hängte die Tasche am Frankfurter Flughafen auf der Toilette an die Türklinke, von außen drückte jemand runter und kaputt waren die schwer erkämpften Teebecher mit Deckel aus China.

Der allgegenwärtige Spucknapf und ein landestypischer Papierkorb

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Ein praktischer Käfig, oben für den Vogel - unten für den Fisch

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Karussell

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Gemütliches Abteil im Nachtzug

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