Was machst du denn dann jetzt?

Als ich im Vorruhestand war hörte ich diese Frage ständig. Meine Antwort zu Anfang war ‚nichts‘. Ich änderte sie in ‚leben‘. Beide Varianten verschlugen meinem Gegenüber die Sprache. Als der Schock vorüber war hörte ich dann, dass das nicht ginge, man muss etwas tun. Der Tag braucht eine Struktur. Vorschläge folgten.

Ich wollte keine Struktur mehr, fünfzig Jahre unterwarf ich mich unzähligen Strukturen. Mein Tag gehörte ab sofort mir, mir allein.

Ein nie gekanntes, wohltuendes Gefühl war es, als ich, kurz nachdem ich zu Hause war, ein Seminar entdeckte, das in einem etwas entlegenen Ort in der Schweiz stattfand, und zwar von Samstag 9.00 Uhr bis Sonntag 15.00 Uhr.

Da ich mit dem Zug fahren wollte waren der Freitag und der Montag unabdingbar … und ich konnte einfach fahren, musste niemanden fragen, ob er meine Vertretung mache oder zumindest ans Telefon ginge an den beiden Tagen. Und nichts Unerledigtes empfing mich am Dienstag, denn ich kam am Dienstag nicht.

Endlich gehörte ich mir, mir ganz allein. Die ersten Wochen, wenn nicht Monate, glaubte ich zu träumen, ist es wirklich wahr, ich kann jetzt tun und lassen was ich will? Ja, es war wahr.

Die meisten Kollegen, die das Angebot annahmen, ‚machten‘ wieder etwas – für sie war der Müßiggang, das ‚dolce vita‘, keine Alternative. Ich tat ja auch wieder etwas, ich befasste mich mit Geistigem, nur hat das in unserer Gesellschaft keinen Stellenwert.

Irgendwann ließ ich mich überzeugen, ein Ehrenamt zu begleiten. Der Tafelladen im Ort suche Unterstützung. An meinem ersten Tag fand ich mehr Helfer als Arbeit vor – hatte den Eindruck man traf sich einfach … was da fünf in einer Stunde machten, hätte ich allein in einer viertel erledigt. Jahre später wollte ein Diakonie-Laden aufmachen, ich glaube drei Mal die Woche für zwei oder drei Stunden. Am Informationstag war ich eine von 49 Interessierten. Mir schwante, dass es nach demselben Prinzip wie im Tafelladen ablaufen würde und verschwand unbemerkt.

Ich habe mir nicht nur diese beiden Ehrenämter angeschaut … es sind im Prinzip immer dieselben Leute, die diese Ämter als Auszeichnung mit sich herumtragen wie ein General seine Orden. Und dieser harte Kern bestimmt, wie in jedem Verein, die Hackordnung. Wer neu kommt wird freundlich empfangen und darf mitmachen, aber etwas abgeben von den ‚Pfründen‘ will keiner von den Etablierten. Auf keinen Fall wollte man eine rationell Arbeitende … so wurde das nichts mit mir und ich weiß, dass es mir an nichts fehlt ohne Ehrenamt.

Und noch etwas Bemerkenswertes erfuhr ich zum Thema ‚machen‘. Wir haben hier einen Obstbauern, bei dem man Kirschen ernten kann. Das Tor war eines Tages noch zu, ich stand mit meiner Schüssel, in die rund ein Kilo Kirschen passte, wartend davor, als ein Ehepaar mit mehreren Eimern erschien. Sie mokierten sich über meine Schüssel, da ginge ja nichts rein. ‚Ein Kilo muss ich erstmal essen und übermorgen kann ich wieder frische Kirschen holen‘, rechtfertige ich mich.

Und postwendend erfuhr ich, zu was Kirschen gut sind – zum Einkochen und zum Marmelade machen. Na gut, jedem das Seine, ich esse sie weiterhin einfach.

Vielleicht ist das eine schwäbische Mentalität, dass man immer etwas machen, etwas Sichtbares herstellen muss. Doch will man damit nicht einfach nur den anderen zeigen wie gut man ist? Gelobt werden, und damit das Ego stärken?